Sonntag, 19. Dezember 2010

Wenn ihr mich sucht, ich sitze in der zweiten Klasse – Fans und Bürgerechte

Dieser Blog sollte ja eigentlich ein Fußballblog sein. Oder wenn man es genauer nehmen will, ein Fanblog. Oder ganz genau, der Blog eines Menschen mit einem komischem Beruf und einem noch komischerem Hobby. Es geht hier um Siege, Niederlagen, viel zu lange Auswärtstouren, Menschen die in der Gepäckablage des Zuges schlafen, Stolz, Hass und die Niederungen meiner Psyche. Belnagloser Scheiß. So weit, so unspektakulär. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass mein kleiner unschuldiger Fußballblog langsam aber sicher zu einem Bürgerrechtsblog mutieren sollte. Denn scheinbar muss man sich in diesem Land – und nicht nur da – entscheiden, ob man Fußball-Fan sein möchte oder Bürger.

Nehmen wir doch mal den Fall eines Mitglieds unsere Gruppe. Nennen wir ihn – weil sein wahrer Name ja keine Rolle spielt – Karl Theodor. Jener besagter Karl Theodor wurde binnen drei Tagen einmal niedergeknüppelt, zusammengetrieben und nackt ausgezogen und untersucht. Was hat Karl Theodor denn nur falsch gemacht, mag man sich fragen? Nichts, er wollte nur seinen Verein unterstützen. Das muss reichen um ihn zu einem Kriminellen zu machen oder zumindest verdächtig selbiger zu sein. Karl Theodor machte – wie sehr viele von uns – am Mittwoch Bekanntschaft mit der spanischen Polizei und wurde von einem beritten Polizisten von hinten umgeknüppelt. Womit er in Sevilla ein mittleres Los gezogen hatte, denn im Topf waren auch noch Festnahme, Misshandlung und die Wahl zwischen Bewährungsstrafe und spanischem Knast.

Kaum wieder in Deutschland wurde er beim Spiel in Frankfurt bei der Einlasskontrolle rausgezogen, in einen separaten Raum geführt und zum Ausziehen angehalten. Ihm wurde bedeutet, dass er - sollte er das verweigern - "mit anderen Maßnahmen" zu rechnen hätte. Da er Angst hatte das Spiel zu verpassen oder in Gewahrsam zu kommen und weil er eh krank war und wenig Kraft hatte ließ er das über sich ergehen. Er musste sich bis auf die Boxershorts und Socken entkleiden und auf einem nassen und kalten Fußboden stehen. Dass, obwohl er krank war, worauf er den privaten Sicherheitsdienst auch hinwies. Anschließend wurde ihm noch am Hintern rumgefummelt und an die Hoden gegriffen. Dieses mit den Worten "Das kennen Sie ja vom Bund". Er musste die Beine und Arme spreizen und der Mitarbeiter beschied ihm, dass er stehen bleiben solle. Sollte er nach vorne gehen, würde er das als Angriff werten und "entsprechende Maßnahmen einleiten". Danach konnte er gehen.

Wir reden hier nicht von Menschen, die vorhaben Terroranschläge zu begehen, sondern Leute, die eine Sportveranstaltung besuchen wollen und dafür extrem viel Geld bezahlen. Diese Menschen scheinen sowas wie rechtlose Subjekte zu sein. Wer Fußball-Fan ist, der muss ja auch Krawall aus sein. Und wer auf Krawall aus ist, hat keine Rechte. Das steht so 1:1 im Grundgesetz. Im deutschen genauso, wie in der spanischen Verfassung. Und dem Fan muss gezeigt werden, wo sein Platz ist.
Der eigentliche Skandal ist für mich aber nicht mal, dass sich Behörden und Institutionen über die Rechte von Menschen hinwegsetzen -das tun sie seit Jahrzehnten immer wieder. Das wirkliche Drama ist, dass sich das ach so aufgeklärte Bürgertum einen Scheißdreck um dieses Thema kümmert. Da werden Bundesbürger in Spanien misshandelt und unter Bedingungen die in einer Bananenrepublik ein Rückschritt wären abgeurteilt und es interessiert genau - Tada und Tusch - niemanden. Ein Artikel bei DerWesten und eine Erwähnung bei den Ruhrnachrichten. Das war es. Ansonsten findet man in keiner Publikation der Republik einen Hinweis auf diese Missstände. Dabei aber jede Menge News über Fans die randalierten. Kein bürgerliches Blatt oder kein Portal hält es auch nur für nötig eine Meldung zu dem Thema zu machen.

Und auch sonst schweigt das aufgeklärte Bürgertum, dass sich doch sonst laut und beredt zu Stuttgart 21, Gorleben und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überschlägt und sich in jeder noch so kleinen Regelverletzung des Staates suhlt. Aber wer kann schon was mit Fans anfangen? Die sind laut, trinken und stinken und tun komische Dinge. Und was interssieren schon Grundrechtsverletzungen von lauten Menschen? Wer recht will soll leise sein. Es sein denn der Protestbürger ruft zum Geschrei auf! Das selbe aufgeklärte Bürgertum wird übrigens – wenn sich mal eine entscheidende Anzahl junger Fußballfans überlegen sollte sich radikal zu orientieren, weil die ach so geliebte Demokratie ja scheinbar keinen Schutz bietet - laut lamentieren, dass man junge Leute nicht alleine lassen dürfe, weil sie sonst empfänglich für radikale Parolen wird. Man müsse da mal mehr hinschauen. Und dann würden sie wieder Faustball spielen gehen und sich gut fühlen, weil sie ja was gesagt haben. Ich kenne inzwischen genug Leute, die auf den Staat und seine Institutionen genau nichts mehr geben. Und ich kann es ihnen nur bedingt verübeln. Aber wahrscheinlich ist das eh alles scheiße, was ich schreibe, denn ich habe einfach keine Ahnung. Ich bin ja nur ein Fußball-Fan.

Wenn ihr mich sucht, ich sitze in der zweiten Klasse

Edit:

Inzwischen gibt es ein Interview mit Jens zu dem Thema der DerWesten. DIe Plattform scheint die einzige zu sein, die an dem Thema dran ist, während der Medienpartner Ruhrnachrichten schön die Klappe hält.

3 Kommentare:

  1. WIe ich gerade sehen hat der geschätze Clemens einen Blogpost mit fast dem selben Tenor geschrieben http://bvboisseree.com/2010/12/19/randale-in-sevilla/

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  2. Warum sollte sich das "Bürgertum" auch für Fußballfans einsetzen? Wer möchte sich schon für randalierende, besoffene, asoziale Halbstarke einsetzen? Ich glaube das ist in etwa das Bild, welches dieses ominöse Bürgertum von Fußballfans hat.Und solange Scharen von "Fans" genau dieses Bild Woche für Woche auf unterschiedlichste Weise zur Schau stellen, wird sich die breite Masse nicht für sie einsetzen.

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  3. Wenn ich so etwas lese, könnte ich nur eins: KOTZEN!!!!

    Was soll so etwas und wer hat das angewiesen?

    Wie kann ich dagegen vorgehen, damit so etwas unterbleibt?

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