Ich war gestern auf einer Torwort-Veranstaltung. Das ist eine Lesung mit Videoeinspielern. Ich hatte von der Nummer kurzfristig durch meinen Chef erfahren. Der Versuch noch Leute zu finden, die da mitkommen scheiterte aber leider. Womit die zu Hause gebliebenen in bester Gesellschaft waren, denn es verloren sich ganze 18 Leute auf dieser Veranstaltung. Was so ziemlich exakt die Anzahl Leute war, die ich erwartet hatte. Hamburg ist keine Fußball-Stadt. Der durchschnittliche HSV-Fan kommt eher aus Quickborn oder Pinneberg und hat es nicht so mit Büchern, während der durchschnittliche St. Pauli-Fan doch eher zu einer Fotoausstellung über die Veränderung seines Stadtteils geht, statt sich mit Fußball zu befassen. Man muss schließlich Prioritäten setzen. Trotzdem ist es mir immer ein Rätsel, dass in einer Stadt in der am Wochenende 70.000 Leute zum Fußball gehen nicht viel mehr als ein Dutzend Leute ihren Arsch hochbekommen um sich auch solche Veranstaltung anzuschauen. Und wenn man mal die Leute abzieht, die da sind, weil sie irgendwen kennen, dann bleibt eine Handvoll übrig. Das ist doch zum heulen. Und vor allem hat das die Veranstaltung nicht verdient.
Wer zu Hause geblieben ist, hat nämlich was verpasst. Und zwar deutlich. Ich kann den Besuch nur wärmstens empfehlen. Und bis dahin sei jedem das Buch Nach vorne an die Hand gegeben aus dem gestern am meisten gelesen wurde. Das absolute Highlight des gestrigen Abends war für mich dabei der schweizer Korrespondent Peter Balzli. Der war extra aus London eingeflogen – für 18 Leute, um noch mal den Finger in die Wunde zu legen -, um aus dem Buch zu lesen und trug dabei seine Geschichte von der WM 2006 vor. Da war er als Korrespondet des schweizer Fernsehens in Brasilien und es ging alles schief was schief gehen konnte. Es kann natürlich sein, dass ich das so lustig finde, weil ich selber beim Fernsehen bin, aber ich habe laut brüllend gelacht. Der Versuch nachzuerzählen, was ihm passiert ist, wäre zum Scheitern verurteilt. Aber er hat es ja eh in „Nach vorne“ perfekt beschrieben und alleine die Geschichte ist die 9,90 Buchpreis wert. Also kauft das Ding einfach. Wenn´s Euch nicht gefällt gebt mir die Schuld.
Weil es nicht so voll war und ich ja auch generell ein kontaktfreudiger Mensch bin, kam ich natürlich mit den Leuten ins schnacken. Unter anderem auch mit Axel Formeseyn, der Autor einer HSV-Chronik ist, lange beim HSV im Aufsichtsrat saß, gestern auch als Gastleser eingelade war und sich als extrem netter Typ rausstellte. Der Autor der St. Pauli Chronik war auch vor, so dass beide Hamburger Vereine „offizielle“ vertreten waren. Man bekommt so langsam einen eindruck wie die 18 Leute zusammenkamen.
Apropos Hamburger Clubs: Mein Verhältnis zum HSV bzw. St. Pauli ist schwer zu beschreiben. Der gemeine Dortmund-Fan kann ja den FC St. Pauli meistens nicht leiden. Wenn man in Hamburg wohnt gestaltet sich das aber schon etwas anders. Denn der FCSP lebt doch in seinen Stadtteilen deutlich mehr als der HSV im Rest Hamburgs. Ich wohne am Rand des natürlichen FC St. Pauli-Territoriums und bekomme mit wie sehr da im Moment Fußball geatmet wird. Natürlich ist das viel aufgesetzt, aber trotzdem ist mir das als Dortmunder 1000 mal lieber und vertrauter als das faktische nicht Vorhandensein von Fußball im Alltag in Stadtteilen wie Wandsbek oder Barmbek. Und natürlich kommt ja auch gerne das Gegenargument, dass sich viele da gar nicht für Fußball interessieren. Auch das ist auch richtig. Aber das ist doch genau das, was eine Gegend zur Fußballgegend macht. Dass sich da auch die Leute für Fußball interessieren, die sich nicht für Fußball interessieren. Und nicht diese komische Distanziertheit die sonst in Hamburg herrscht. Darüber hinaus war ich in den frühen 90ern ab und zu mit im Stadion. Ein damaliger Mitbewohner kam aus der Hausbesetzer-Szene und die Berliner Hausbesetzer hatten damals einen sehr aktiven Anteil von St. Pauli-Fans. Vielleicht kennt noch wer den Fanladen in Berlin-Mitte. Der war offiziell neutral, wurde aber überwiegend von St. Pauli-Fans frequentiert und mit Walter auch von einem St. Paulianer geschmissen. Ich bin also den braun-weißen als Verein durchaus mehr zugetan als dem HSV. Was aber auch daran liegt, dass der HSV natürlich mehr auf Augenhöhe mit uns operiert und ein natürlicher Konkurrent ist, während St. Pauli uns eher nicht gefährlich werden wird.
Auf der anderen Seite komme ich mit aktiven HSV-Fans deutlich besser aus als mit St. Paulianern. Die sind uns von der Fankultur einfach näher als Pauli und haben ähnliche Muster. Sei es das Gespräch mit Axel gestern oder die extrem lustige Rückfahrt nach dem letzten Spiel gegen den HSV. : Ich kann mit HSV Fans einfach besser diskutieren als mit Paulianern.
Ich rede dann doch im Zweifel lieber über Fußball als Politik.
Hamburg ist meiner Meinung nach sehr wohl eine Fußballstadt. Neben den beiden großen Vereinen gibt es da ja auch noch eine ganze Reihe kleiner Clubs, die über eine relativ feste Anzahl von Zuschauern verfügen. So gibt es in Barmbek BU oder halt Altona 93, nicht zu vergessen den SC Victoria. Ich würde fast sagen, dass die Situation in Hamburg höchstens noch mit Berlin zu vergleichen ist, wo es auch noch eine ganze Reihe kleiner Amateurclubs gibt. Natürlich pilgern da keine Massen hin, aber da wird auch Fußball gelebt. Im Pott gibt es ja kaum noch was Kleineres (außer den Mannschaften, die sportlich einfach abgestürzt sind). Und wer kannte bis zu ihrem Landespokalsieg gegen RW schon die SW-Variante aus Essen?
AntwortenLöschenUnd gestern fand zudem auch noch das Finale des Oddsetpokals (Gewinner spielt nächste Saison im DFB-Pokal) statt, wo mehr als 1700 Leute anwesend waren. Es gab also gesern auch noch 'richtigen' Fußball zu sehen anstelle eines Vortrages (der sicherlich auch sehr spannend war). Ich würde auch zu so einer Veranstaltung gehen, aber woher soll man das wissen, wenn keine Werbung dafür gemacht wird?
Zu argumentieren Hamburg sei eine Fußball-Stadt und dann Berlin anzuführen ist gewagt. Ich kenne keine Stadt wo man sich noch weniger für Fußball interessiert als Berlin. :)
AntwortenLöschenUnd im Pott gibt es neben den beiden großen noch Bochum, RWO, den MSV und eben RWE.
Das mit dem Oddset-Pokal war natürlich wirklich unglücklich. Ich war selbst hin- und hergerissen wohin ich gehen soll. Trotzdem war es bei Ben Redelings auch nicht voller.